Die Strahlenkrankheit Erkennen: Symptome, Phasen und Sofortmaßnahmen

Was ist das Akute Strahlensyndrom?

Das Akute Strahlensyndrom (ARS), umgangssprachlich als Strahlenkrankheit bekannt, ist ein Komplex von Symptomen, der nach einer kurzzeitigen, hochdosierten Exposition des gesamten Körpers oder eines großen Teils davon gegenüber ionisierender Strahlung auftritt. Solche Expositionen sind selten und treten typischerweise bei schweren Unfällen in Kernkraftwerken, bei der Detonation nuklearer Sprengköpfe oder bei Unfällen mit industriellen oder medizinischen Strahlenquellen auf. Es ist wichtig, ARS von den Langzeitfolgen chronischer, niedrig dosierter Strahlenexposition zu unterscheiden, wie sie beispielsweise in bestimmten beruflichen Umfeldern auftreten kann. Die Schwere der Strahlenkrankheit hängt direkt von der absorbierten Strahlendosis ab, die in der Einheit Gray (Gy) gemessen wird.

Die Vier Phasen der Strahlenkrankheit

Der Verlauf der akuten Strahlenkrankheit ist typischerweise durch vier klar definierte Phasen gekennzeichnet. Das Verständnis dieser Phasen ist entscheidend für die Einschätzung der Schwere der Exposition und die Einleitung angemessener medizinischer Maßnahmen.

1. Die Prodromalphase (Frühphase)

Diese erste Phase tritt innerhalb von Minuten bis zu zwei Tagen nach der Exposition auf. Die Symptome sind unspezifisch und ähneln denen einer schweren Grippe. Die Geschwindigkeit des Einsetzens und die Intensität der Symptome sind wichtige Indikatoren für die erhaltene Strahlendosis. Ein schnelles Einsetzen von schwerem Erbrechen (innerhalb der ersten Stunde) deutet auf eine sehr hohe, oft tödliche Dosis hin.

  • Übelkeit und Erbrechen: Dies sind die klassischen Kardinalsymptome. Der Zeitpunkt des ersten Erbrechens ist ein kritisches diagnostisches Werkzeug.
  • Appetitlosigkeit und Unwohlsein: Ein allgemeines Gefühl des Krankseins und der Verlust des Appetits sind häufig.
  • Durchfall: Kann auftreten, insbesondere bei höheren Dosen, die den Magen-Darm-Trakt betreffen.
  • Müdigkeit und Schwäche: Eine ausgeprägte Erschöpfung und Lethargie setzen ein.
  • Kopfschmerzen: Insbesondere bei sehr hohen Dosen, die das zentrale Nervensystem betreffen.

2. Die Latenzphase (Symptomfreie Phase)

Nach der anfänglichen Prodromalphase folgt eine trügerische Periode, in der sich der Betroffene vorübergehend besser fühlt. Diese Latenzphase kann von einigen Stunden bis zu mehreren Wochen dauern. Die Dauer dieser Phase steht in umgekehrtem Verhältnis zur Strahlendosis: Je höher die Dosis, desto kürzer die Latenzzeit. Während dieser scheinbaren Erholung erleidet der Körper jedoch massive innere Schäden. Insbesondere die sich schnell teilenden Zellen im Knochenmark, im Magen-Darm-Trakt und in anderen Geweben sterben ab, was den Weg für die nächste, kritische Phase bereitet.

3. Die Manifestationsphase (Krankheitsausbruch)

In dieser Phase brechen die eigentlichen, organspezifischen Krankheiten aus. Je nach Strahlendosis manifestiert sich eines oder eine Kombination der folgenden drei Hauptsyndrome:

  • Hämatopoetisches Syndrom (Knochenmarkschädigung): Tritt bei Dosen von etwa 1 bis 6 Gy auf. Die Strahlung zerstört die blutbildenden Stammzellen im Knochenmark. Nach einigen Wochen führt dies zu einem Mangel an Blutzellen: einem Mangel an weißen Blutkörperchen (Leukopenie), was zu schweren Infektionen führt; einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie), der unkontrollierbare Blutungen verursacht; und einem Mangel an roten Blutkörperchen (Anämie).
  • Gastrointestinales Syndrom (Magen-Darm-Schädigung): Tritt bei höheren Dosen von etwa 6 bis 10 Gy auf. Die Strahlung zerstört die Schleimhaut des Magen-Darm-Trakts. Dies führt zu unstillbarem Erbrechen, schwerem, oft blutigem Durchfall, massivem Flüssigkeits- und Elektrolytverlust und Sepsis durch das Eindringen von Darmbakterien in den Blutkreislauf. Dieses Syndrom ist fast immer tödlich.
  • Neurovaskuläres Syndrom (Schädigung des Nervensystems): Tritt bei extrem hohen Dosen von über 10-20 Gy auf. Die Strahlung schädigt direkt das zentrale Nervensystem. Die Symptome treten innerhalb von Minuten bis Stunden auf und umfassen Krampfanfälle, Verwirrung, Bewusstseinsverlust und Koma. Dieses Syndrom verläuft ausnahmslos innerhalb von 48 Stunden tödlich.

4. Die Erholungs- oder Todesphase

Abhängig von der Dosis und der Wirksamkeit der medizinischen Behandlung (z.B. Stammzelltransplantation, Antibiotika, Flüssigkeitsersatz) kann der Patient entweder in eine lange Erholungsphase eintreten, die Monate oder Jahre dauern kann, oder er erliegt den Folgen der Schädigung. Auch bei Überlebenden bleiben oft Langzeitschäden wie ein erhöhtes Krebsrisiko, Katarakte (Linsentrübung) und Unfruchtbarkeit zurück.

Lokale Strahlenschäden: Das Kutane Strahlensyndrom

Neben dem Ganzkörpersyndrom kann Strahlung auch lokale Schäden verursachen, insbesondere an der Haut. Dies wird als Kutanes Strahlensyndrom (CRS) bezeichnet und kann allein oder zusammen mit ARS auftreten. Die Symptome entwickeln sich über Tage bis Wochen:

  • Frühe Rötung (Erythem): Ähnlich einem starken Sonnenbrand.
  • Haarausfall: In der betroffenen Region.
  • Blasenbildung und Schuppung: Die Haut kann sich ablösen.
  • Schwere Spätfolgen: Bei hohen Dosen kann es zu Geschwüren (Ulzerationen), dem Absterben von Gewebe (Nekrose) und chronischen Schmerzen kommen, die oft chirurgische Eingriffe erfordern.

Wichtige Sofortmaßnahmen bei Strahlenverdacht

Sollte der Verdacht auf eine Exposition gegenüber einer signifikanten Strahlenquelle bestehen, sind unverzügliche Maßnahmen zur Schadensbegrenzung entscheidend.

Die oberste Priorität ist es, die Exposition zu beenden und eine weitere Kontamination von sich selbst und anderen zu verhindern.
  1. Distanz: Entfernen Sie sich so schnell und so weit wie möglich von der vermuteten Strahlenquelle. Die Intensität der Strahlung nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab.
  2. Abschirmung: Suchen Sie Schutz hinter dicken, dichten Materialien. Massive Betonwände, Keller oder das Zentrum großer Gebäude bieten den besten Schutz vor Gammastrahlung.
  3. Dekontamination: Radioaktive Partikel auf Körper und Kleidung stellen eine andauernde Strahlenquelle dar und können eingeatmet oder verschluckt werden.
    • Kleidung ablegen: Entfernen Sie vorsichtig die äußere Kleidungsschicht und legen Sie sie in einen versiegelbaren Plastiksack. Dies kann bis zu 90% der Kontamination beseitigen.
    • Körper reinigen: Duschen Sie gründlich mit lauwarmem Wasser und Seife. Waschen Sie auch die Haare. Vermeiden Sie es, die Haut zu schrubben, um Verletzungen zu verhindern, durch die radioaktives Material in den Körper gelangen könnte.
  4. Medizinische Hilfe: Suchen Sie umgehend professionelle medizinische Hilfe. Informieren Sie die Rettungskräfte und Ärzte genau über den Hergang, den Zeitpunkt der vermuteten Exposition und die aufgetretenen Symptome.

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