Wolle Kardieren: Eine Detaillierte Anleitung zur Faseraufbereitung

Die Kunst des Kardierens: Vom Vlies zur Faser

Das Kardieren ist ein fundamentaler Schritt in der Verarbeitung von Rohwolle und anderen Spinnfasern. Es ist der Prozess, bei dem ungeordnete, gewaschene Wollfasern gekämmt und ausgerichtet werden, um ein gleichmäßiges, luftiges Faserband zu erzeugen, das zum Spinnen von Garn oder zum Filzen bereit ist. Dieser Vorgang entfernt nicht nur die letzten Reste von pflanzlichem Material und Verunreinigungen, sondern entwirrt auch die einzelnen Fasern und richtet sie parallel zueinander aus. Das Ergebnis ist ein sogenannter Rolag oder ein Batt, eine weiche, homogene Faservorbereitung, die sich leicht und gleichmäßig verspinnen lässt.

Die richtige Ausrüstung für das Kardieren von Wolle

Die Wahl des Werkzeugs hängt stark von der Menge der zu verarbeitenden Wolle und dem gewünschten Ergebnis ab. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Handkarden und Kardiermaschinen.

Handkarden: Der traditionelle Weg

Handkarden sind das klassische Werkzeug für das Kardieren kleinerer Wollmengen. Sie bestehen aus zwei identischen, paddelförmigen Brettern mit Griffen, die mit einem speziellen Belag aus feinen, leicht gebogenen Metalldrähten (dem Kardenbelag) bespannt sind.

  • Anwendung: Sie eignen sich hervorragend für das Verarbeiten kleiner Chargen, das Anfertigen von Farbmustern oder das Mischen verschiedener Fasern und Farben in kontrollierten Mengen.
  • Handhabung: Die Arbeit mit Handkarden ist meditativ und bietet eine große Kontrolle über das Endergebnis. Sie sind portabel und benötigen wenig Platz.
  • Worauf achten: Die Dichte des Kardenbelags, angegeben in TPI (Teeth Per Inch – Zähne pro Zoll), ist entscheidend. Feinere Wolle wie Merino benötigt einen höheren TPI (z.B. 120 TPI), während gröbere Wolle mit einem niedrigeren TPI (z.B. 72 TPI) besser zurechtkommt.

Kardiermaschine (Drum Carder): Effizienz für größere Mengen

Eine Kardiermaschine, auch Drum Carder genannt, ist eine mechanische Vorrichtung, die den Kardiervorgang erheblich beschleunigt. Sie besteht aus einer großen Haupttrommel und einer kleineren „Licker-in“-Trommel, die beide mit Kardenbelag bespannt sind und sich mittels einer Handkurbel in entgegengesetzte Richtungen drehen.

  • Anwendung: Ideal für Spinner, die regelmäßig größere Mengen Wolle verarbeiten. Sie produziert große, gleichmäßige Faserbahnen, sogenannte Batts.
  • Funktionsweise: Die vorbereitete Wolle wird auf ein Zufuhrbrett gelegt und langsam in die Maschine gekurbelt. Die kleinere Trommel nimmt die Fasern auf und übergibt sie an die große Trommel, die die Fasern kämmt und sammelt.
  • Vorteile: Enorme Zeitersparnis und die Fähigkeit, sehr homogene und große Batts für größere Spinn- oder Filzprojekte zu erstellen.

Vorbereitungsschritte vor dem Kardieren

Eine sorgfältige Vorbereitung der Rohwolle ist der Schlüssel zu einem erfolgreichen Kardierergebnis. Ungewaschene oder schlecht vorbereitete Wolle kann die Karden beschädigen und führt zu einem unbefriedigenden Resultat.

Schritt 1: Waschen und Trocknen der Rohwolle

Rohwolle enthält Lanolin (Wollfett), Schmutz, Schweiß und pflanzliche Reste. Dieser Schmutz muss vor dem Kardieren entfernt werden. Waschen Sie die Wolle vorsichtig in heißem Wasser mit einem speziellen Wollwaschmittel. Wichtig ist, die Wolle nur zu tauchen und nicht zu bewegen oder zu reiben, da sie sonst verfilzt. Spülen Sie sie mehrmals mit klarem Wasser von der gleichen Temperatur. Anschließend wird die Wolle sanft ausgedrückt und an einem luftigen Ort vollständig getrocknet, beispielsweise auf einem Trockengestell.

Schritt 2: Auflockern der Fasern (Teasing/Picking)

Nach dem Trocknen sind die Wolllocken oft noch kompakt. Vor dem Kardieren müssen diese von Hand aufgelockert werden. Nehmen Sie eine Wollflocke und ziehen Sie sie mit den Fingern sanft auseinander, bis eine leichte, wolkenartige Struktur entsteht. Dieser Schritt, auch „Zupfen“ oder „Teasing“ genannt, öffnet die Faserstruktur, lässt letzte kleine Verunreinigungen herausfallen und erleichtert den Karden die Arbeit ungemein. Dieser Schritt sollte niemals übersprungen werden!

Anleitung: Wolle mit Handkarden kardieren

Das Kardieren mit Handkarden erfordert etwas Übung, aber die Technik ist schnell erlernt.

Das Beladen der Karde

Halten Sie eine Karde (die stationäre Karde) auf Ihrem Schoß, mit dem Griff zu Ihnen zeigend. Nehmen Sie eine kleine Menge der aufgelockerten Wolle und „streichen“ Sie sie vorsichtig über die Zähne der Karde. Beladen Sie die Karde nicht zu voll; eine dünne, gleichmäßige Schicht ist ideal. Die Faserspitzen sollten leicht aus dem Belag herausragen.

Der Kardiervorgang

Nehmen Sie die zweite Karde (die bewegliche Karde) in Ihre dominante Hand. Die Griffe der beiden Karden sollten nun in entgegengesetzte Richtungen zeigen. Setzen Sie die bewegliche Karde am unteren Rand der stationären Karde an und bürsten Sie sanft nach oben, weg von Ihnen. Die Zähne der Karden sollten sich dabei kaum berühren – es ist eine leichte, streichende Bewegung. Die Fasern werden dabei von der unteren auf die obere Karde übertragen. Wiederholen Sie diesen Vorgang, bis alle Fasern auf der beweglichen Karde sind. Anschließend übertragen Sie die Fasern wieder zurück auf die erste Karde. Führen Sie insgesamt drei bis vier solcher Durchgänge durch, bis die Fasern einheitlich und glatt erscheinen.

Das Abnehmen des Rolags

Nach dem letzten Durchgang liegen alle Fasern auf einer Karde. Um den Rolag zu formen, verwenden Sie die Kante der leeren Karde, um die Faserschicht am oberen Rand der vollen Karde anzuheben. Fassen Sie diese angehobene Kante und rollen Sie die Faserschicht vorsichtig und locker von oben nach unten zu einer kleinen, luftigen Rolle – dem Rolag. Dieser Rolag ist nun bereit zum Verspinnen.

Praktische Tipps für perfekte Ergebnisse

  • Farben mischen: Das Kardieren ist eine wunderbare Methode, um eigene Farbmischungen zu kreieren. Legen Sie dazu dünne Schichten verschiedener Farben abwechselnd auf die Karde und kardieren Sie sie so lange, bis der gewünschte Mischeffekt erreicht ist.
  • Nissen vermeiden: Kleine Knoten (Nissen) entstehen oft, wenn die Karden überladen werden oder die Wolle nicht ausreichend aufgelockert wurde. Arbeiten Sie immer mit kleinen Mengen und seien Sie gründlich beim Vorzupfen.
  • Statische Aufladung: Besonders bei sehr trockener Luft können die Fasern statisch werden und „fliegen“. Ein leichter Sprühnebel aus Wasser kann hier Abhilfe schaffen.

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