
Die Kunst des Fragens: Wie man im Unterricht aktiv lernt und überzeugt
Die richtige Einstellung: Warum Fragen im Unterricht entscheidend sind
Viele Studierende und Schüler zögern, im Unterricht Fragen zu stellen. Die Angst, unwissend zu wirken oder den Fluss des Vortrags zu stören, ist weit verbreitet. Doch diese Zurückhaltung ist ein Hindernis für den eigenen Lernprozess. Eine Frage ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Beweis für aktives Zuhören und kritisches Denken. Wer fragt, zeigt, dass er sich mit dem Stoff auseinandersetzt und nicht nur passiv Informationen aufnimmt. Dieses Engagement wird von den meisten Lehrkräften nicht nur geschätzt, sondern ausdrücklich gewünscht. Fragen geben ihnen wertvolles Feedback darüber, welche Inhalte verstanden wurden und wo es noch Erklärungsbedarf gibt. Darüber hinaus profitieren oft auch die Kommilitonen, die sich vielleicht dieselbe Frage nicht zu stellen trauten.
Betrachten Sie das Stellen von Fragen als ein Werkzeug, um die Kontrolle über Ihr eigenes Lernen zu übernehmen. Anstatt Lücken im Verständnis einfach hinzunehmen und auf später zu verschieben, klären Sie sie sofort. Dies verhindert, dass sich Missverständnisse aufbauen und spätere, komplexere Themen unverständlich werden. Die Überwindung der anfänglichen Scheu zahlt sich durch ein tieferes und nachhaltigeres Verständnis des Lernstoffs aus.
Vorbereitung: Das Fundament für gute Fragen legen
Wirklich gute Fragen entstehen selten aus dem Nichts. Sie sind das Ergebnis einer sorgfältigen Vorbereitung und aufmerksamer Teilnahme am Unterrichtsgeschehen. Eine gute Vorbereitung ermöglicht es Ihnen, von allgemeinen Unklarheiten zu spezifischen, zielführenden Anfragen zu gelangen.
Vor dem Unterricht
Die Basis für effektives Fragen wird bereits vor Beginn der Lehrveranstaltung gelegt. Eine konsequente Vorbereitung des Stoffs ist unerlässlich. Nehmen Sie sich die Zeit, die für die Stunde vorgesehenen Texte zu lesen, die Folien des letzten Mals zu wiederholen oder die Hausaufgaben zu bearbeiten. Während dieser Vorbereitung werden unweigerlich erste Unklarheiten oder weiterführende Gedanken auftauchen.
- Notieren Sie Unklarheiten: Halten Sie alles schriftlich fest, was Ihnen unlogisch, widersprüchlich oder einfach nur unklar erscheint. Formulieren Sie bereits hier eine erste Version Ihrer Frage. Zum Beispiel: „Ich verstehe den Unterschied zwischen mitotischer und meiotischer Zellteilung im Prinzip, aber die genaue Rolle der Zentromere in Phase II der Meiose ist mir unklar.“
- Identifizieren Sie Kernkonzepte: Markieren Sie die zentralen Ideen und Thesen des Materials. Überlegen Sie, wie diese Konzepte miteinander in Beziehung stehen. Fragen, die diese Verbindungen hinterfragen, sind besonders wertvoll.
Während des Unterrichts
Ihre Vorbereitung zahlt sich nun aus. Während die Lehrperson den Stoff vorträgt, können Sie aktiv zuhören, anstatt verzweifelt zu versuchen, mit den Grundlagen Schritt zu halten. Ihre Aufgabe ist es nun, Ihr vorbereitetes Wissen mit den neuen Informationen abzugleichen und gezielt auf Verständnislücken zu achten.
Machen Sie sich Notizen und verwenden Sie ein Symbol, zum Beispiel ein Fragezeichen (?), am Rand, um Stellen zu markieren, die Sie nicht sofort verstehen. Versuchen Sie, die Antwort zunächst selbst herzuleiten. Oft klärt sich eine Frage durch den weiteren Verlauf des Vortrags von selbst. Wenn nicht, haben Sie einen konkreten Anknüpfungspunkt. Statt ein vages „Ich verstehe das nicht“ zu äußern, können Sie präziser formulieren:
„Sie haben gerade erklärt, dass die Geldmenge erhöht wird, um die Wirtschaft anzukurbeln. Ich verstehe jedoch nicht, warum dies nicht zwangsläufig zu einer hohen Inflation führen muss, wie wir es im vorherigen Kapitel besprochen haben.“
Die Kunst der Formulierung: Wie man effektiv fragt
Eine gut vorbereitete Frage kann ihre Wirkung verlieren, wenn sie schlecht formuliert oder zum falschen Zeitpunkt gestellt wird. Timing und Klarheit sind entscheidend, um eine nützliche Antwort zu erhalten.
Das richtige Timing und die passende Gelegenheit
Unterbrechen Sie die Lehrperson nicht mitten in einem komplexen Gedankengang. Warten Sie auf natürliche Pausen, zum Beispiel am Ende eines Themenblocks oder wenn zu einer neuen Folie gewechselt wird. Der ideale Moment ist natürlich, wenn die Lehrperson explizit in die Runde fragt: „Gibt es dazu Fragen?“. Heben Sie klar und deutlich die Hand und warten Sie, bis Sie aufgerufen werden. Bei sehr komplexen oder persönlichen Fragen, die den Rahmen sprengen könnten, ist es oft besser, diese nach der Stunde oder in der Sprechstunde zu klären.
Klarheit, Präzision und Kontext
Vermeiden Sie allgemeine und offene Fragen wie „Können Sie das nochmal erklären?“. Solche Fragen zwingen die Lehrperson zu raten, was genau Sie nicht verstanden haben. Seien Sie so spezifisch wie möglich:
- Geben Sie Kontext: Beziehen Sie sich auf einen konkreten Punkt. Sagen Sie zum Beispiel: „Auf Folie 5, im zweiten Aufzählungspunkt, erwähnen Sie den Begriff ‚kategorischer Imperativ‘. Könnten Sie ein Alltagsbeispiel dafür geben?“
- Formulieren Sie als „Ich-Botschaft“: Sprechen Sie aus Ihrer Perspektive. Sagen Sie „Ich habe Schwierigkeiten, die Verbindung zwischen X und Y nachzuvollziehen“ anstatt „Die Verbindung zwischen X und Y ist unlogisch“.
- Fassen Sie Ihr bisheriges Verständnis zusammen: Zeigen Sie, was Sie bereits verstanden haben. Das hilft, das Problem einzugrenzen. Beispiel: „Ich verstehe, dass A zu B führt. Aber wie genau beeinflusst Faktor C diesen Prozess?“
Umgang mit besonderen Herausforderungen
Nicht jeder Lernkontext ist gleich. Große Hörsäle oder Online-Kurse stellen besondere Anforderungen an Fragesteller, ebenso wie persönliche Schüchternheit.
In großen Hörsälen und Online-Kursen
In einem Hörsaal mit hunderten von Studierenden ist es wichtig, sich bemerkbar zu machen. Heben Sie die Hand hoch und deutlich. Wenn es ein Mikrofon gibt, nutzen Sie es, damit alle Sie verstehen können. Sprechen Sie langsam und laut. In Online-Vorlesungen sollten Sie die zur Verfügung stehenden Werkzeuge nutzen: die digitale „Hand heben“-Funktion ist oft die beste Wahl. Alternativ kann der Chat genutzt werden, um die Frage schriftlich zu formulieren. Formulieren Sie hier besonders präzise, da nonverbale Hinweise fehlen.
Tipps für schüchterne Lernende
Wenn Sie von Natur aus zurückhaltend sind, kann das Fragenstellen eine große Überwindung kosten. Doch es gibt Strategien, um die Hürde zu senken:
- Schreiben Sie Ihre Frage auf: Notieren Sie die Frage Wort für Wort in Ihrem Notizbuch. Das Vorlesen einer vorbereiteten Frage kann die Nervosität deutlich reduzieren.
- Beginnen Sie im Kleinen: Stellen Sie Ihre Frage zunächst einem Kommilitonen in der Pause. Oft hilft schon diese kleine Bestätigung, um sich sicherer zu fühlen.
- Nutzen Sie Sprechstunden: Der direkteste und persönlichste Weg ist das Gespräch unter vier Augen mit der Lehrperson. Hier können Sie in einer ruhigen Atmosphäre alle Ihre Unklarheiten ansprechen. Diese positive Erfahrung kann das Selbstvertrauen stärken, um es beim nächsten Mal auch im Plenum zu versuchen.
Kommentare (0)
Melden Sie sich an, um zu kommentieren!
AnmeldenNoch keine Kommentare.
Seien Sie der Erste, der kommentiert!